Portugal – 19.Aug.2017

(Eintrag im persönlichen Tagebuch)

Dem Kalender der Menschen folgend müsste es August 2017 sein, so glaube ich zumindest. Ich muss zugeben, trotz meines Tagebuchs ist meine Rechnung durcheinander gekommen.

Es ist eigentlich kaum zu glauben, aber 13 Jahre sind schon vergangen. 13 Jahre, die ich größtenteils allein auf diesem Schiff verbrachte, in dieser riesigen Welt aus Kabeln, elektronischen Schaltkreisen, Computern und Sensoren. Die Zeit, um an das Ziel zu gelangen, war ebenfalls nicht gerade gering. Aber zumindest verbrachte ich sie wie ein Bär im Winterschlaf, versteckt in einer Spalte eines abgeschalteten Heizelementes. So wachte ich deshalb erst auf, als das Schiff sein Ziel erreicht hatte, die Heizelemente der Kamerakontrollen einschaltete und mit dem Fotografieren begann. Arme Menschen, die zur Erde gefunkten Bilder stehen in keinem Vergleich zu der Realität, die sich dem Auge darstellt.

Saturn aus der Ferne
© NASA/JPL-Caltech/Space Science Institute

Ich erinnere mich so, als wäre es erst gestern gewesen. Kaum war ich aufgewacht, suchte ich mir einen Weg nach Draußen am Hinterteil des Schiffes und setzte mich auf den Rand der Schutzschilde der Antriebsdüsen. Ich blickte direkt in die Sonne, denn ich brauchte Energie, Licht und Wärme, meine bevorzugte Nahrung. Ich hätte nie gedacht, wie klein unser Stern aus dieser Entfernung aussieht.

Als mein Hunger gestillt war, machte ich mich auf den Weg zum Vorderteil des Raumfahrzeuges. Dort angekommen konnte ich endlich das Ziel dieser langen Reise betrachten. Wenn ich wie die Menschen atmen würde, wäre ich wahrscheinlich an Luftmangel gestorben – so atemberaubend war der Anblick. Vor einem absolut schwarzem Hintergrund, schwarz wie ich es noch nie sah, stand er – Saturn, majestätisch, pompös und absolut fantastisch.

Die Farben in der Atmosphäre des Saturns erinnern an jene seines Geschwitterplaneten Jupiter
© NASA/JPL-Caltech/Space Science Institute

Eine riesige Kugel, die in den verschiedensten braun- und rosafarbenen Tönen leuchtend im Nichts zu schweben schien. Die Ringe, die Saturn umgeben, schweben über dem Äquator, als würde sie durch Magie gehalten. Sie strahlen und bisweilen glitzern sie sogar ein bisschen. Einerseits sehen sie wie ein festes Ding, wie eine Straße, aus aber gleichzeitig lassen sie das Licht von hellerem Sternen im Hintergrund durchscheinen. Der Anblick ist einfach unwirklich… wie aus einer anderen Welt… was in diesem Fall ja sogar zutrifft.

Schon immer träumte ich davon den Weltraum zu bereisen, das Sonnensystem zu erforschen, vielleicht sogar auf einem der Planten zu bleiben. Der Gedanke die Herrscherin über einen Planeten zu sein, nur ich und meine Nachkommen finde ich, wenn ich dabei an die Menschen denke, äusserst belustigend. Sie denken, dass sie über ihren Planeten, die Erde, herrschen. Aber wer hierzu als Letztes das Sagen hat, sind eigentlich wir. Es dauert zwar und verlangt Langzeitstrategie, aber die Menschen sind dennoch leicht zu beeinflussen. Nun sind sie soweit gezähmt worden, die Menschen, dass sie uns sogar in den Weltraum befördern. Natürlich denken sie anders und halten einen grauenvollen Krieg gegen uns ab. Antibiotika, Strahlenbeschuss, Säurebäder, sie versuchen alles um uns auszumärzen. Genau wie sie es bei diesem Schiff gemacht haben, bevor es in den Weltraum geschossen wurde. Sie hätten beinahe gewonnen, denn nur ich bin als einzige Überlebende in diesem riesigen Schiff übrig geblieben… Kommandantin, Pilot, Mechanikerin und überhaupt die ganze Schiffsmannschaft in einem.

In diesen dreizehn Jahren sah ich phantastische Dinge, von denen ich ohne dieses Tagebuch die Hälfte schon längst vergessen hätte. Wenngleich, niemals vergesse ich, dass ich beinahe für immer auf den Mond Titan verschleppt worden wäre. Als ich mich bei der Reparatur einer verklemmten Kupplung an der kleinen, unabhängigen Sonde verspätete, die, wie ich, die lange Reise an der Hülle des Schiffes angeflanscht mitgemacht hat. Als ich das Klicken der Startrelais verspürte, welche die Sonde vom Schiff trennen sollten, konnte ich noch im letzten Moment abspringen. Nur für wenige Augenblicke, die sich unendlich anfühlten, schwebte ich im absoluten Nichts zwischen den beiden Fahrzeugen. Ein Glück, dass ich keinen Magen habe, der sich umdrehen könnte, denn die Folgen und der damit unweigerlich verbundene Rückstoß, könnte mich von dem Schiff entfernen und für alle Ewigkeit durch das All treiben lassen.

Das atmosphärische Hexagon um den nördlichen Pol.
© NASA/JPL-Caltech

Unglaubliche Dinge sah ich in diesen dreizehn Jahren. Der unbeschreibliche Anblick der Eiswolken, die von Eisvulkanen des Mondes Enceladus in den Weltraum geschleudert werden und wie unheimliche Geisterfinger im All schweben. Ich sah die verschwommenen Umrisse von Bergen und Methanseen auf Titan, die durch die weniger dichten Stellen der dynamischen Atmosphäre dieses riesigen Mondes hindurch schienen. Auch die Stürme und Gewitter die auf Saturn herrschen, sind ein umwerfender Anblick. Ich sah riesige, mysteriöse Sechsecke aus Wolkenstrukturen, welche die Atmosphäre Saturns um die Pole herum bildet und, nicht zu vergessen, die beeindruckenden Farb- und Lichtspiele der  Polarlichter. Ich flog an einer Vielzahl von Monden vorbei, jeder mit einer eigenen, seltsamen Oberfläche. Ich durchstiess sogar die Ringebene, erst in sicherer Ferne, aber später flog ich sogar direkt durch die Lücken zwischen den Ringen.

Ich will lieber nicht daran denken was ich nicht sah. Alle jene wundersamen Dinge, die ich verpasste während ich Tage brauchte um auf diesem riesigen Schiff von einem Ort zum anderen zu gelangen. Es ist bisweilen doch ein Nachteil so winzig klein zu sein.

Aber ich bin auf meine Arbeit stolz. Ohne mein Eingreifen und Opfer hätte dieses Schiff nie solange durchgehalten. Wer war es, der Monate damit verbrachte ein lockeres Kabel an den thermoelektrischen Generatoren zu reparieren und so die Strom- und Wärmeversorgung für die lebenswichtigen Komponenten des Schiffes zu garantieren? Kein Mensch war in der Nähe, also musste ich herhalten. Ich musste mich zuerst sogar millionenfach vermehren um so, zusammen mit meinen zahlreichen Nachkommen, ausreichend Kraft und Material zu haben um das Kabel richtig zu befestigen.

Der Mond Mimas scheint über einem Ringsegment im Vordergund zu schweben  © NASA/JPL-Caltech

Wer war es, der den kosmischen Staub, eigentlich sind es Partikel die den Ringen und Monden entflohen, von den Objektiven der Kameras entfernte? Ohne mein Zutun hätten die Menschen nach ein paar Monaten und Saturnumkreisungen, nur noch unscharfe Bilder mit Flecken empfangen.

Dreizehn Jahre, ein unglaubliches Abenteuer. Doch nun ist die Zeit der Änderung. Meine Mission ist am Ende angekommen, denn nach zwei weiteren Umkreisungen stürzt sich dieses Schiff in die Atmosphäre des Saturns. Ich habe keine Lust an dieser Abwärtsfahrt teilzunehmen. Ich will mehr sehen. Deswegen ist morgen der Tag des großen Sprunges. Ich verfolge schon seit einiger Zeit einen Gesteinsbrocken, der von den Ringen mit einer so hohen Geschwindigkeit ausgestoßen wurde, dass er die Anziehungskraft des Saturnsystems überwinden wird. In ein paar Tagen wird dieser Brocken an einen Ort kommen, den ich erreichen kann, wenn ich morgen von diesem Schiff abspringe. Ich bin ja so aufgeregt.

Es ist schon alles für den großen Sprung vorbereitet, daher verbringe ich den Rest des Tages mit Feiern und Abschiednehmen. Ich muss mich von meinen Nachfahren und den Generationen von Nachfahren, die meinige inzwischen geschaffen haben verabschieden. Auch sie sind alle unglaublich aufgeregt. Sie sind vor allem deshalb unruhig, weil sie bald in die Atmosphäre des Saturns eindringen werden und dort die erste schwebende Kolonie auf einem Gasplaneten erschaffen werden.

Mir liegt das sesshafte Leben nicht. Ich will mehr sehen, ich will erkunden und forschen, ich will Abenteuer …morgen ist der Tag des großen Sprunges um eine Mitfahrgelegenheit auf jenem Gesteinsbrocken zu nutzen. Nach meinen Berechnungen dürfte es mich in das Innere des Sonnensystems treiben. Vielleicht, wenn ausreichend Zeit vergangen ist, treffe ich auf eine weitere Sonde der Menschen auf ihrem Weg zu einem anderen Planeten, oder ich erwische einen Komet und drehe eine Runde um die Sonne, bevor ich mir ein neues Ziel aussuche, einen Planeten, Mond oder sonst etwas, dass ich erforschen oder eventuell kolonisieren kann.

Ich muss diesen Eintrag jetzt beenden, die Anderen warten schon auf mich. Aber bald werde ich neues Tagebuch beginnen, Jenes, das die neue Reise beinhaltet und die Reisen die danach folgen…. Das Leben ist wunderbar, die Sterne sind wunderbar und hier bin ich um sie aus der Nähe zu betrachten.

“Mia, over and out” pieeeps

 

Anmerkung der Redaktion: Die Meinung der Autorin zum Leben, dem Universum und allem Anderen entspricht nicht unbedingt jene der Redaktion.

Über die Mission der Sonde Cassini und ihre letzten Tage besuchen sie https://saturn.jpl.nasa.gov/mission/grand-finale/overview/

Für Informationen über Wesen, die der Mia ähnlich sind fragen sie ihren Hausarzt.

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